Unser Festival eröffnet im Center of Minimum Distance, dem berechneten geographischen Zentrum aller diesjährigen Bewerber des Project Space Festivals Berlin. Dieser Blog, welcher den selben Namen trägt wie das Center of Minimum Distance, beginnt mit dem Versuch die Frage der Peripherie zu ergründen.

Berlins Projekträume scheinen sowohl symbolisch als auch geographisch mit der Idee der Peripherie verknüpft zu sein. Die französische Kunstsoziologin, Severine Marguin, hat in ihrer Studie Die Berliner Projekträume: ein Standort Berlins Projekträume von den 1970ern bis zum heutigen Tag in einer übersichtlichen Darstellung kartographiert. Darauf sieht man wie sich Berlin nach dem Ende des Kalten Krieges in den 90ern aus der internationalen Peripherie herausbewegt und zum Zentrum vom heutigen mehr oder weniger vereinten Europa wird. Gleichzeitig jedoch bewegen sich die blauen Markierungen der Projekträume auf Marguins Karte dramatisch vom Zentrum Berlins in Richtung der Peripherie. Dem Urbanisten AbdulMaliq Simone zu Folge ist die Peripherie das Ergebnis eines Exzesses des Zentrums, während diese zugleich das Zentrum als solches ausmacht. In diesem Wechselspiel gibt es ohne die Peripherie kein Zentrum – und umgekehrt. Dem zu Folge „bietet die Peripherie nie etwas an eigener Substanz an, ihr eigener Status als Zugabe trägt nie direkt zur Transformation des Normativen bei.“ („At the Frontier of the Urban Periphery“, Sarai Reader, 2007, s. 462) Ein Beispiel dafür ist das Brachland, ein Zwischenraum dessen Zugehörigkeit unklar ist. Hier sprießt der Wildwuchs, der Beton bröckelt, und Menschen treiben sich ungefragt umher. Eine solche Situation ist nur im undefinierten Raum möglich. Doch die Kehrseite dieses Definitionsvakuums ist, dass das Brachland nur eine temporäre Erscheinung ist: ein leerer Platzhalter, der letztendlich von zentralen Prozessen der urbanen Landerschließung eingenommen wird.

Das Brachland und der Projektraum werden oft beide als Überbleibsel des wilden Berlins der Künstler, Bohemians und Rebellen verstanden. Dieses Image ist jedoch auch zu einem Anreiz für Touristen, Investoren und Zugezogenen verkommen. Der Projektraum wird oft in Opposition zu einer bereits existierenden normativen Realität definiert, weswegen er auch dessen Terminologie übernimmt: „nicht-institutionell,“ „nichtkommerziell“, oder „unhierarchisch,“ heißt es da zum Beispiel. Diese negative Art der Definition, welche die Peripherie als einen bedrohten Raum erfasst, der jederzeit vom Zentrum geschluckt werden könnte, spiegelt sich manchmal in jüngsten Diskussionen um Berliner Projekträume wieder.
Doch auf die Frage „was ist ein Projektraum?,“ gibt es genausoviele Antworten wie Projekträume. Vielleicht sollte man eher darüber nachdenken, wieso man so dringlich nach einer Definition für Projekträume sucht.

Die Problematik der Definitionsfrage von Projekträumen wird verkompliziert durch die zunehmende Diskussion um die Rolle der unabhängigen künstlerischen Praxis. Diese hat sich problematisiert durch den Mehrwert den Künstler und Künstlerinnen der urbanen Entwicklung bringen. Dies betrifft sowohl Marketing und Tourismus, als auch Immobilienpreise.
In diesem Zusammenhang hat die Ablehnung einer genaueren Definition des Projektraums konkrete Vorteile, wie ein Projekt der Gruppe Haben & Brauchen zeigte. Diese übte susbstantielle Kritik am Druck des Turbo-Kapitalismus und der Gentrifizierung von Berlins unabhängiger Kunstszene. Teil der Aktion war eine Arbeitsgruppe die sich der Definition von Kunstbegriffen wie „Autonomie“ und „Funktionalität“ widmen sollte. Was folgte war eine detailreiche Diskussion des Begriffes „Autonomie“ mit Referenzen zu zahlreichen männlichen Philosophen, welche das Aufkommen des funktionalen und selbst-definierten Künstlers analysierte. Diese Figur trat in den letzten 25 Jahren vermehrt als Künstler*in-Aktivist*in oder -Sozialarbeiter*in im Kontext von Berlins institutioneller Deregulierung auf. Als Ergebnis definiert die Diskussion künstlerische Autonomie frei nach „gebt uns Geld, aber bestimmt nicht wofür“ – eine sinnvolle Auslegung, die jedoch ein komplexes Problem auf eine finanzielle Vereinbarung reduziert.

Ein ähnlicher Ansatz ist in der Avatara Plenara Zeitstipendia Kampagne zu finden. Diese hat letztes Jahr erfolgreich ein paar Zeit-abhängige Zuschüsse für Berliner Künstler ins Leben gerufen, welche „…keine Vorgaben zu Inhalten oder Formaten förderungswürdiger künstlerischer Praktiken [macht] oder detaillierte Projektvorhaben fordert“.

Ein weiterer Definitionsversuch von Seiten der Institutionen stützt sich ebenfalls auf finanzielle Parameter. Das Netzwerk freier Berliner Projekträume und Initiativen schaffte 2012 ein bedingungsloses System zur Finanzierung durch den Preis zur Auszeichnung künstlerischer Projekträume und -initiativen. Dies ist eine wichtige Entwicklung, denn Finanzierung in Form eines Preises fordert rein gar nichts, der Projektraum bleibt komplett autonom in der Verwendung des Preisgeldes. Jedoch verbleibt die Frage ob jeder Projektraum überhaupt finanzielle Unterstützung benötigt, denn in manchen Fällen wurde der Preis an semi-kommerzielle oder institutionalisierte Räume verliehen.

All dies sind Ansätze, die eine klare Definition des Projektraumes in Frage stellen. Doch ist ein nicht-Definieren ein Warant für Autonomie? Und ist der Berliner Projektraum immer noch stolz darauf, peripher zu sein?
In dem 2015 erschienen Text Vom Ende des Projektraums und der begleitenden Abhandlung Attempts…, schreibt der Kurator Manuel Wischnewksi, dass „der Projektraum ein Raum mit Distanz ist. Er pflegt nicht nur eine Distanz zum Markt, sondern auch zum institutionellen, zum Staat, und allerlei anderen Strukturen.“ Zugleich beobachtet Wischnewski, dass jene zentralen Strukturen ein gesteigertes Interesse am Berliner Projektraum zeigen. Jüngste Entwicklungen, wie der bereits erwähnte Preis oder tatsächlich auch dieses Festival, zeigen deutlich den Mehrwert, den die unabhängige Kunstszene der Stadt verleiht. Zudem haben manche Teile der Projektraum-Szene eine intime Beziehung mit der kommerziellen Kunstszene entwickelt. Dies reicht von der Partizipation in internationalen Kunstausstellungen bis zur Kollaborationen zwischen dem Project Space Festival und der Berlin Art Week. Projekte wie One Night Stand (eine Reihe des Netzwerks freier Berliner Projekträume und Initiativen in Zusammenarbeit mit den KW), bei dem Projekträume abendliche Events in der Chora der Kunst-Werke Berlin ausrichteten, demonstrieren, dass Projekträume auf einem institutionellen Level einen Mehrwert repräsentieren. In allen Fällen, beobachtet Wischnewski eine langsame Annäherung des einst peripheren Projektraums zu seinem einstigen Gegenstück – sei es der Staat, der Markt oder die Institution.

In ihrem Artikel Alternativlos, der letztes Jahr in Das Kunstmagazin erschien, suggeriert die Kunstkritikerin Larissa Kikol, dass der Projektraum eine Brutstätte des neo-liberalen Konservativismus ist. Dabei skizziert Kikol das Aufkommen eines neuen, vollständig selbst-ausbeuterischen und obsessiven Subjekts, welches ein, ob es einem nun gefällt oder nicht, nicht-peripherer Akteur der „unabhängigen“ Szene ist, welcher zentrale Prozess der Präkarisierung und das Bedürfnis ein erfolgreiches Image zu kultivieren internalisiert hat. Der Term „Off-Space“ wird durch den Begriff „Project Space“ ausgetauscht, und mit ihm kommt auch die Idee des Netzwerk Raums auf. Es steht zur Debatte, ob Kikols provozierende Analyse nun wirklich realitätsnah ist oder nicht, unabhängig davon aber macht sie deutlich, dass ein Definitionsvakuum eine Gefahr darstellt – da es externen Akteuren die Möglichkeit gibt, diese für ihre eigenen Zwecke zu definieren.
Wenn AbdulMaliq Simone schreibt, dass Peripherie nur im Gegensatz zum Zentrum definiert werden kann, deutet er auch an, dass eine Peripherie ohne Zentrum, nichts substantielles aus sich selbst heraus produzieren kann. Denn eine Identiät die nur durch den Gegensatz zu ökonomischen Prozessen, wie Gentrifizierung, Ökonomisierung, und Wertsteigerung, geschaffen wird, unterwirft sich diesen auch gleichzeitig, auf eine subtile Weise. Es zieht die Aufmerksamkeit genau dieser Prozesse, von denen man sich absetzen will, auf sich. Opposition ist genauso hip für Berlins Image wie für seine Makler. Es macht sich in Berlin eine Narration bemerkbar, in der die Institutionalisierung, die Kommerzalisierung und die Wertsteigerung als unausweichlich dargestellt werden, welche die Peripherie entweder ganz schlucken oder sie in ein vom Zentrum bestimmtes Netzwerk assimilieren. Hier wird die Opposition ins Gegenteil verkehrt.

Aber es gibt keinerlei Gründe, zynisch zu werden. In der Praxis ist die Situation komplexer. Die meisten von uns sind sich mehr als nur bewusst über die oben erwähnten Probleme. Die Realität sieht so aus, dass der Berliner Projektraum eine lange politische Historie hat, und dass in der Zwischenzeit neue Modelle und neue Strukturen für die selbst-Organisation und Kollaboration entstanden sind. Nichtsdestotrotz gibt es noch Orte an denen man weiterhin bestimmte Prinzipen analysieren und aufklären kann und muss, gerade in einer Stadt in der ein ständiger Fluss an sogenannten „Kreativen“ besteht. Contra-Simone, macht es vielleicht sogar Sinn, einen Blick auf andere Systeme des Selbst-definierten oder Nicht-definierten zu werfen, die weiter gehen als nur das rein Ökonomische, die etwas tieferes ergründen: ein politisches Selbstverständnis.
Der externe Druck des Zentrums macht es scheinbar notwendig, dass sich der Projektraum selbst als Peripherie definiert. Jedoch ist eine Beziehung zum Zentrum nicht notwendigerweise negativ. Zum Beispiel kommt eine zunehmende Finanzierung durch zentrale Quellen wie den Berliner Kultur Senat zu einem Zeitpunkt, an dem die unabhängige Kunst- und Kulturszene diese am meisten braucht; gleichzeitig ist sie fähiger als je zuvor, ihre vitale Position in der kulturellen Landschaft der Stadt zu demonstrieren. Doch auf welcher Basis, in wessen Namen und unter welchen Bedingungen werden diese repräsentativen Taten der Beanspruchung von Finanzierung und Selbstdefinition gemacht?
Das Project Space Festival 2016 bildet ein künstliches Center of Minimum Distance. Dabei wird ein nicht-existierendes Zentrum geboren. Ein Zentrum für jeden der darauf bauen kann wenn notwendig, aber auch ein Zentrum das letztendlich irgendwann nicht einmal mehr notwendig ist.
Der Zweck dieser Serie ist vom Gesichtspunkt eines ephemeren Zentrums eine Anzahl an Positionen, Definitionen, oder Ablehnungen zu beschreiben, die das Periphere ausmachen.
More to come…

Text: Sonja Hornung
Übersetzung: Marlene Ronstedt
Foto: Project Space Festival Berlin 2016, Tag 04, Bruch & Dallas : Layout
Foto: Lysander Rohringer

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