Gast Autor: Benjamin T. Busch

I. Zentrum und Peripherie
Zentrum und Peripherie sind räumliche Konzepte welche nach Henri Lefebvre in drei distinktive aber zusammenhängende Kategorien eingeteilt werden können: physikalischer Raum, repräsentierter Raum und repräsentativer Raum (1). Im Anbetracht der Peripherie, oder dem Rand, als ein konstituierender Teil des Zentrums, ohne den das Zentrum nicht existieren könnte, wird dieser Text Lefebvre’s „Räumliche Triade“ im Bezug auf den Projektraum untersuchen.

Erstens, physikalische Räume, oder auch räumliche Praxis machen die materiellen Konditionen der Gesellschaft sichtbar. Räumliche Praxis ist Raum der wahrgenommen wird, der konstanter Interpretation und Transformation durch die Gesellschaft unterliegt. Zweitens, Repräsentationen des Raums sind formalisierte Konzeptionen, also Vorstellungen des Raums. Organisiert von Wissenschaftlern, Planern, Urbanisten, und (sozialen) Ingenieuren, tendieren diese Räume dazu, Systeme sprachlicher Zeichen zu sein. Drittens und zuletzt, repräsentativer Raum ist Raum der direkt durch komplexe Symbole gelebt wird: der dominierte Raum, „welcher die Vorstellung versucht zu verändern und sich Dinge anzueignen versucht. Der repräsentative Raum überlagert physikalischen Raum, indem er symbolischen Nutzen macht aus dessen Objekten“ (2). Dies ist ein Raum der Meinungsverschiedenheiten, welcher Hegemonien in Frage stellt.

Als ein Teil vom physikalischen Raum, zählt der Projektraum natürlich zum Feld der räumlichen Praxis: Er wird dort von Menschen belebt, wo Peripherie und Zentrum aufeinander treffen. Nun, wie können wir Repräsentationen des Raums (zum Beispiel urbane Gesetzgebung oder Bebauungspläne) und repräsentative Räume (der Raum wo Ideale und soziale Bewegungen geformt werden) in Relation zum Projektraum verstehen?

Home Coming ParadeNile Koetting, Sofia Stevi (Fokidos), Mieko Suzuki, Yukihiro Taguchi and <a href=TOKONOMA bond over a sense of home: Who or what constitutes this place, if it even is one? What do we do when what we secretly hoped to have seems to be lost – nowhere to be found? If it doesn’t make sense anymore to imagine such spaces, because the coloring book is full, yet the forms are empty or broken – why go home at all? Is this very absence what covertly keeps everything together?“Who’s gonna take us home, tonight?You know you can’t go onThinking nothing’s wrongWho’s gonna drive you home tonight?”“ width=“800″ height=“533″ />Nile Koetting, Sofia Stevi (Fokidos), Mieko Suzuki, Yukihiro Taguchi & TOKONOMA, Home Coming Parade, 2016
Photo: Joanna Kosowska

II. Ausgrenzungen
Das was man im Volksmund Gentrifizierung nennt, ein Prozess welcher eng mit Repräsentationen von Raum verbunden ist, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wie Saskia Sassen in Ausgrenzungen erkennt, ist es die extreme Komplexität der globalen Ökonomie dazu tendiert, elementare Brutalitäten zu kreieren. Sassen positioniert den Begriff der Verdrängung als ein analytisches Mittel, welches uns „jenseits der bekannten Idee der wachsenden Ungleichheit als ein Weg der Darstellung der Pathologien des heutigen globalen Kapitalismus“ (3) dient.

Wenn wir Gentrifizierung nur innerhalb der räumlichen Praxis verorten, tendieren wir dazu zu glauben, dass Künstler und andere “Kreative” die ersten Täter sind, die dazu führen, dass Mieten steigen und die Homogenisierung in urbanen Zentren stattfindet. Aber wenn wir einen näheren Blick auf die globale Wirtschaft werfen, zu der Immobilien eine Verbindung haben, finden wir heraus, dass die Vertreibung aus dem Zentrum in die Peripherie einen ganz anderen Grund hat. Obwohl Newcomer Künstler und Young Professionals einen gewissen Hype in manchen Nachbarschaften auslösen, die Vertreibung der alt Ansässigen ist ein Resultat der internationalen Immobilienspekulation und dem damit verbundenen Nutzen als handelbare Ware in Form von verbriefte Verbindlichkeiten – finanzieller Kapitalismus.

Betrachten wir die globale Wirtschaft als ein System von Repräsentationen des Raumes. Es handelt sich dabei um abstrakte Repräsentation des physikalischen Raums, zum Beispiel forderungsbesicherte Wertpapiere (wie Haus Hypotheken), Investitionen (zum Beispiel im agrikulturellen Sektor in den Anbau von Getreide und der Viehzucht) und andere Derivate Produkte, die alle als spekulative Repräsentationen von Raum existieren und welche in der Tat unsere materielle Realität verändern. Ihre Legalität unterliegt der Gesetzgebung, die oft einem globalen Konsens zugrunde liegt.

Eines der am naheliegendsten Beispiele dieser Transformationen ist die US-Hypothekenkrise, in der Familien dazu gezwungen wurden ihre Häuser zu verlassen, weil ihre Kreditrückzahlung in Verzug geraten waren. Ein anderes Beispiel kann in globalisierten Städten gefunden werden: auf der ganzen Welt, werden Menschen aus urbanen Zentren gedrängt – inklusive Berlin – um Platz für luxuriöse Immobilienentwicklungen zu schaffen, welche wie Währungen auf dem globalen Immobilenmarkt gehandelt werden.

Nicht einmal der Projektraum kann der unausweichlichen Vertreibung aus dem Zentrum standhalten, außer er partizipiert aktiv innerhalb der organisierenden Strukturen, welche den physikalischen Raum den der Projektraum bewohnt repräsentieren. Zudem ist es wichtig festzuhalten, dass der Projektraum als Programm von Repräsentation oft schon ausgeschlossen ist, weil aufrichtige Kuration – eine Praxis, deren Name vom lateinischen Wort Curare (“zu heilen”) kommt – ist, wie alle Pflegearbeit (inklusive Instandhaltung), ernsthaft unterrepräsentiert in der kapitalistischen Wirtschaft.

III. Projizierender Raum
Des weiteren zum dritten Raum, der repräsentative Raum (Raum, als er unmittelbar gelebt wird, oder “belebter Raum”), welcher auf einer globalen Skala, dem System der globalen Wirtschaft aus verbalen Zeichen untergeordnet ist. Doch sind repräsentative Räume, während sie dominiert werden, ein Objekt der Vorstellung: sie tendieren dazu, nonverbalen Systemen zu ähneln. Einige Projekte des diesjährigen Projekt Space Festivals haben aufgezeigt, wie repräsentative Räume zur gleichen zeit Rückstände von räumlichen Repräsentationen (Räume der Infrastruktur, Brachland) besetzen können – Räume, in denen das Zentrum und die Peripherie ineinander übergehen.

TOKONOMAs Intervention Home Coming Parade fand in einem Raum statt, der niemals dazu vorgesehen war: unter einer A100 Autobahnbrücke. Die Autobahn trennt Berlin’s Zentrum von seinen peripheren Nachbarschaften, und die kontroverse Expansion der Autobahn wird auch in Zukunft dazu führen, Gemeinschaften zu verdrängen. Das Kollektiv servierte Suppe und projizierte ein Video, welches das Leben in dem besetzten Haus Cuvrybrache in Kreuzberg dokumentierte. Dort lebten rund 150 Menschen, bis es 2014 nach formalen Versuchen seine Einwohner zu vertreiben in mysteriöser Weise abbrannte. Eine poetische Wi-Fi Installation sichtbar nur für Besuchern mit empfangsfähigen Geräten beherbergte einen deskriptiven Text über einen utopischen Raum in Griechenland, welcher Künstler*innen und Philosoph*innen mit einbezog. Indem die Künstler*innen einen Ort am Rand der Peripherie besetzten, projizierte die Intervention alternative Räum zur Bewohnung, welcher jenseits etablierter Konzepte von einem zu Hause sind.

Alex Head und Anna Kostrevas geologisches Happening Off the Record fand in einem Brachland am Nollendorfplatz statt, eine Gegend in Berlin, die für seine Prostitution berüchtigt ist. Ein Brachland, gefüllt mit Geröll, welches nach dem zweiten Weltkrieg platt gemacht wurde, wurde zunächst zu einem Gebrauchtwagenhändlerplatz, bevor es an die Natur aufgegeben wurde – und jetzt von lokalen Sexarbeiter*innen genutzt wird. Während einem von Neue Berliner Räume kuratierten Event luden Head und Kostreva die Teilnehmer dazu ein, auf dem Brachland in der historischen Kruste der Stadt zu graben, um geologische und anthropologische Artefakte wiederzufinden. Innerhalb der Spanne eines Tages wurde eine Reihe von signifikanten Objekten gefunden, welche dazu beitrugen, eine Erzählung für den Ort zu kreieren. Jedoch waren manche der Funde so fremd wie die Steine, die vor Millionen von Jahren von Gletschern hierher transportiert worden sind. Verbale Narrativen stellten sich als inadäquat heraus, genauso wie visuelle: der Künstler verlangte eine um 15 Jahren verzögerte Veröffentlichung aller Dokumentation des Happenings, was in einer alternativen Form der Dokumentation von der Festival Fotografin Joanna Kosowska resultierte. Belebte Räume wurden befreit von ihren direkten Repräsentationen.

Off the RecordGeologisches HappeningAlex Headund Urban Researcher Anna KostrevaDer KŸnstler, Laien-Geologe und Co-Direktor des Wasteland Twinning Netzwerks Alex Head lŠdt im Rahmen einer offenen Grabung dazu ein, Berlins verschlungene Geschichte gemeinsam zu erkunden. Nach seiner jŸngsten Publikation Here Comes Trouble, An Inquiry into Art, Magic & Madness as Deviant Knowledge (ZK/U Press) macht sich Head nun daran, vergessene Geschichten aus Berlins historischen Ablagerungen freizulegen.Um die Abseitigkeit des Ausgrabungsortes zu bewahren, bittet der KŸnstler darum, jedwede fotografische Dokumentation mit einer 15-jŠhrigen Sperrfrist zu versehen. Andere Aufnahmeformen wie z.B. Zeichnungen oder Tonaufnahmen sind ausdrŸcklich erwŸnscht. Joanna Kosowska, Undeveloped Sketches – Neue Berliner Räume – Off The Record, 27.08.2016, UNIKAT, Screenshot, 2016
Geological Happening: Alex Head & Anna Kostreva

Wir könnten mit einem Wortspiel abschließen, indem wir anstelle von Repräsentationen von Raum “projizierter Raum” sagen – ein Raum, der projiziert wird. Dann könnten wir repräsentative Räume stattdessen “projizierender Raum” benennen – Raum, der sich projiziert. Der Projektraum im physikalischen Raum ist eine angefochtene Zone, der sich immer zwischen Peripherie und Zentrum positioniert, die Zone in der dauerhafte Operationen der Sichtbarmachung und Unsichtbarmachung stattfinden. Als ein Ort der Manifestation von repräsentativen Raum projiziert der Projektraum aktiv den Raum.

Mit Jacques Rancière könnten wir sagen, dass der Projektraum eine Möglichkeit anbietet, Meinungsverschiedenheiten zu projizieren. Wie unsichtbare Personen ohne politische Repräsentation, wird der Projektraum zu „zwei Welten in einer und der gleiche Welt“ (4). Wenn der Projektraum im physikalischen Raum potentielle alternativen zur Dominanz der globalen Ökonomie materialisiert, politisches Selbstverständnis wird hier eine reale Möglichkeit.

Übersetzung: Marlene Ronstedt

Bibliografie

(1) Henri Lefebvre, The Production of Space, trans. Donald Nicholson-Smith (Oxford: Blackwell, 1991).
(2) Ibid. 39.
(3) Saskia Sassen, Expulsions: Brutality and Complexity in the Global Economy (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 2014), 1.
(4) Jacques Rancière, Dissensus: On Politics and Aesthetics, trans. Steve Corcoran (London: Continuum, 2015), 77.

Benjamin T. Busch forscht an kritischen Arten der architekturellen Produktion innerhalb des Felds der räumlichen Praxis. Er behandelt Architektur als ein Symptom von abstrakten Prozessen. Seine Kunstwerk und Texte untersuchen komplexe Felder von Relationen innerhalb des bebauten Umfelds.

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