Die Projektraumszene Berlins ist ständig in Bewegung. Wir sprechen mit Benjamin Busch, dessen Raum TIER.space in diesem Jahr eröffnet wurde, und mit Loré Lixenberg, die ihren Raum La Plaque Tournante im letzten Jahr verloren hat. Ein Interview über kleine Raumwunder, die labyrinthische Berliner Bürokratie und die Weigerung, einfach aufzugeben.

Benjamin, du hast deinen Projektraum TIER.space vor einigen Monaten gemeinsam mit Lorenzo Sandoval eröffnet. Wie kam es zu der Entscheidung?
Benjamin: Lorenzo und ich hatten schon länger darüber gesprochen, einen Projektraum in unserer Nachbarschaft in Neukölln zu finden. Und dann kam wie durch ein Wunder die Einladung, sich auf einen durch das Arbeitsraumprogramm des Senates geförderten Raum zu bewerben. Das ganze System dahinter scheint mir ein wenig labyrinthisch. Eigentlich bräuchte man ein Diagramm, um die Struktur dahinter zu erklären. Aber man darf da auch nicht so kritisch mit der Bürokratie sein, denn sie ermöglicht ja das Ganze erst. Jedenfalls wird der Raum von der GSE Gesellschaft für StadtEntwicklung gemietet, die ihn dann an uns untervermietet. Wir zahlen ein Drittel der Miete und der Senat die restlichen zwei Drittel. Es gab eine Jury und alles ging dann ziemlich schnell. Eine Woche nachdem wir uns beworben hatten, bekamen wir die Zusage und zwei Wochen später, am 2. Mai, haben wir den Mietvertrag unterschrieben.

Loré: Wir hatten uns auf denselben Raum beworben, ihr habt ihn uns weggeschnappt! (lacht). Aber mal ehrlich: was für ein fantastisches Programm.

Trotz solcher Unterstützung bedeutet ein Projektraum natürlich noch viel Arbeit und Verantwortung. Warum tut man sich das überhaupt an? Was treibt euch da?
Loré: Für mich stellt sich die Frage der Motivation gar nicht. Es ist einfach eine fantastische Arbeit, eine ganz notwendige Arbeit zudem! Wenn man sich einmal der Verbreitung der Kunst verschrieben hat, dann muss man so etwas einfach machen. Und es ist großartig, eine Schnittstelle zu haben zwischen den “normalen” Leuten und dem, was wir als Avantgarde-Künstler machen. Wie aufregend das ist! Und man spürt das nicht, wenn man sich nicht selbst die Hände schmutzig macht. Einen Projektraum zu haben, heißt mittendrin zu sein.

Benjamin: Für mich geht es vor allem um die Idee, kollektiv zu arbeiten. Ein ganz großer Teil unserer Arbeit geschieht doch ohnehin gemeinschaftlich, ob wir nun mit Künstler*innen arbeiten oder über sie schreiben, ob wir den Boden putzen oder die Facebook-Einladungen vorbereiten – es gibt da etwas unterhalb der Oberfläche, das uns verbindet. Diese Energie will ich pflegen und dabei neue Wege der Zusammenarbeit erproben, bei denen es dann nicht um Konkurrenz geht. Ich will Möglichkeiten ausloten, gemeinsam Kunstwerke zu schaffen, ohne dabei immer gleich ein Auge auf den Lebenslauf oder den eigenen Ruf zu werfen. Und die Arbeit in meinem Projektraum ermöglicht es mir, diese Kollektivität anzuerkennen, die sich ohnehin schon hinter vielen, wenn nicht allen Kunstwerken verbirgt.

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Susan Ploetz, Xenosomatics Session at TIER.space, 2018, photo by Benjamin Busch


Gab es jemals einen Moment, an dem es sich anfühlte, als wäre das alles ein wenig zu viel – neben dem Job und der eigenen künstlerischen Praxis und all den anderen Dingen des Alltags?
Benjamin: Natürlich ist es manchmal schwer, wenn man sich ohnehin schon dreiteilen müsste, um alles zu schaffen, und man aber zusätzlich auch noch diesen verdammten Newsletter rausschicken muss. Dann ist man einfach nur noch erschöpft und es ist echt hart, nicht den Fokus zu verlieren.

Würdet ihr sagen, dass es genug Anerkennung für die Arbeit als Projektraumbetreiber*innen gibt?
Benjamin: Wenn man sich mal den Senat anschaut, dann gibt es da natürlich eine Anerkennung. Was selbstverständlich nicht heißt, dass da nicht auch mehr kommen könnte, entweder vom Senat oder anderen. Aber die Frage ist doch die: Wer ist eigentlich dafür verantwortlich, dich für deine Arbeit zu belohnen? Ich glaube zum Beispiel nicht, dass es die Künstler*innen sein sollten, weil auch die ja erhebliche Energien und wertvolle Zeit und Geld in ein gemeinsames Projekt stecken. Es gibt aber auch ohne Geld andere interessante Wege, um Arbeit wertzuschätzen, basierend auf einer Vertrauensgemeinschaft. Ich denke da an Tokens, also eine Art Gutschein. Das muss gar keine Kryptowährung sein, sondern könnte auch die Form einer selbst herausgegebenen zeitbasierten Währung annehmen. Wir experimentieren im TIER.space gerade damit. Das würde so funktionieren, dass du dem Projektraum deine Zeit gibst und dafür einen Token bekommst, wir nennen sie Tieritos. Wir überlegen gerade noch, welche Form sie annehmen könnten; wir wollen, dass sie nützliche Objekte sind, mehr als nur etwas Symbolisches oder ein Stückchen Code. Irgendwann wird man sie bei uns auch wieder einsetzen und gegen Materialien tauschen können, wie zum Beispiel Publikationen, die wir in unserem Projektraum produzieren wollen. Man soll also etwas zurückbekommen im Austausch für seine Zeit.

Loré: Ehrlich gesagt habe ich ganz grundsätzlich erst mal kein Anspruchsdenken. Nur weil ich mich mal entschieden habe, einen Projektraum zu gründen, heißt das doch nicht, dass ich irgendeine Vorzugsbehandlung oder ein extra Dankeschön verdiene. Ich komme aus England; ich bin es als Künstlerin gewohnt, dass auf mich herabgeschaut wird. Meine Meinung ist eigentlich, dass es ziemlich fantastisch ist, dass wir überhaupt eine solche Arbeit machen können. Was mich viel eher nachdenklich stimmt, sind die allgemeinen Entwicklungen in Berlin. Jetzt hier einen Raum zu finden ist in der Tat ein kleines Wunder, wie Benjamin vorhin schon sagte.

Loré, du und dein Partner Frédéric Acquaviva, ihr habt euren Raum gegen Ende letzten Jahres verloren. Wie kam es dazu?
Loré: Es gab da diese fantastische Berliner Dame, die uns den Raum seit Jahren vermietet hatte. Damals, das war 2013, war es zwar nicht einfach, einen Raum zu finden, aber es war möglich, geradeso noch so möglich. Das fühlte sich damals einfach noch ein bisschen anders an. Als wir uns für den Raum bewarben, hatten wir den ganzen Schufa-Kram nicht und es gab auch keine lange Schlange von Mitbewerber*innen. Da war einfach diese alte Dame, mit der wir sprachen, und die uns dann den Raum gab: eine ehemalige Arztpraxis, samt des ganzen Equipments. Ein ziemliches Chaos, aber natürlich gleichzeitig absolut beeindruckend. Wir haben alles genutzt, was noch da war, und wir mochten die Idee, dass die Leute zu diesem Ort kommen würden, um von der Avantgarde geheilt zu werden. Und dann tauchte dieses Immobilien-Arschloch auf und hat das Haus gekauft, den ganzen Block eigentlich, und hat alles renoviert und die Preise angehoben. Diese Leute haben ein einziges Interesse: und das ist Geld zu machen. Die Stadt selbst ist ihnen dabei vollkommen egal.

Und die wollten euch einfach raus haben?
Loré: Ja, ich meine, wir haben wirklich alles versucht. Aber sie wollten uns dort rauskriegen. Also bekamen wir eine Kündigung mit dreimonatiger Frist, nachdem wir diesen Raum seit fast fünf Jahren betrieben hatten. Wenn man jetzt vorbeifährt, dann steht er immer noch leer…

Habt ihr versucht, einen neuen Raum zu finden?
Loré: Ja, aber wir haben einfach nichts bekommen. Es war gar nicht so, dass wir es uns nicht hätten leisten können, wir hatten ja gerade den Projektraumpreis gewonnen, aber den Vermietern war das ziemlich egal. Wir sind zu ganz vielen Besichtigungen gegangen, wo unglaublich viele Leute auftauchten und mit ihren Papieren wedelten. Was die Vermieter wollten, waren Mieter mit regelmäßigen Einkommen und „richtigen“ Jobs. Wo auch immer wir uns beworben haben, sind wir abgelehnt worden. Oder die Räume hatten mit 4000 bis 5000 Euro pro Monat ohnehin eine extrem hohe Miete, obwohl sie in etwa unserem alten Projektraum entsprachen – so sehr hat Berlin sich verändert. Das hätten wir uns für ein Jahr leisten können, danach wären wir aber ins Straucheln geraten.

Was hätte euch geholfen?
Loré: Wenn es jemanden gegeben hätte, der uns ein wenig durch das System geholfen hätte, der mit uns zu den „Vorsprechen“ gegangen wäre, ein Offizieller vielleicht, der für uns in irgendeiner Art eingestanden wäre. Wir hätten jemanden – oder auch eine Art Institution – gebraucht, die zwischen uns und den Vermietern vermittelt hätte, damit die nicht einfach nur mit zwei verrückten Künstlertypen konfrontiert gewesen wären. Vielleicht hätten wir dann Erfolg gehabt. Eine Art „Mentor“ hätte helfen können. So jemand hätte auch mit Akelius sprechen können, die uns rausgeworfen haben. Wer weiß, eventuell hätte das etwas gebracht. Ein ziemlicher netter Journalist von der FAZ hat die sogar mal angerufen und versucht, sie umzustimmen. Aber das hat alles nichts gebracht. Ich bin irgendwann sogar zur Bürgermeisterin von Neukölln gegangen, aber auch sie saß nur da, hat gelächelt, aber letztlich nichts getan.

Project Space Festival @ La Plaque Tournante, mit Performance von Loré Lixenberg. Sonnenallee 99 12045 Berlin

La Plaque Tournante at Project Space Festival 2016, performance by Loré Lixenberg, © PSF, photo by André Wunstorf

 

Aber ihr habt nicht aufgegeben. Es fasziniert mich total, dass ihr euren Optimismus nicht verloren habt. Warum will man wieder von vorne anfangen, wenn man so eine Enttäuschung erlebt hat?
Loré: Weil wir wirklich gute Arbeit gemacht haben! Die einzige Enttäuschung war ja, dass wir den Raum verloren haben, aber das trübt für mich das Projekt insgesamt nicht. Und deshalb kommen wir auch zurück. Wir werden im Hamburger Bahnhof CRU 4 präsentieren, das Magazin von La Plaque Tournante. Damit wollen wir das letzte Jahr des Raumes festhalten. Es wird den Titel What happened or could have happened at La Plaque Tournante (Deu: Was bei La Plaque Tournante passiert ist und was hätte passieren können). Die nächste Ausgabe wird dann komplett virtuell sein: Frédéric hat Fotos vom Raum gemacht und wir werden dann die Ausstellungen digital hineinmontieren. Es ist also wirklich so, dass wir die Idee eines Projektraums nicht aufgegeben haben. Sie ist wichtiger denn je.

Braucht es vielleicht einfach diese Art von unbeirrbarem Optimismus, wenn man so ein Unterfangen beginnen möchte?
Benjamin: Das hatte auf jeden Fall mit viel blindem Vertrauen zu tun. Und dem Projekt wohnt definitiv ein Optimismus inne. Aber um ehrlich zu sein, hatten wir auch gar keine Wahl. Wenn man einmal das Geschenk eines Raumes angeboten bekommt, dann wäre es ein großer Fehler, es auszuschlagen. Mit den ganzen Bewerbungen, die man als Künstler*in oder Kurator*in so schreibt, ist es ja oft so, dass man eigentlich nie so recht erwartet, dass die eigenen Wünsche in Erfüllung gehen. Man betrachtet diese ganzen Bewerbungen vielleicht eher als pragmatische, aber letztlich irgendwie ziemlich sinnlose Sache. Aber wenn dann doch mal etwas durchgeht, dann muss man einfach zugreifen.


Interview: Manuel Wischnewski

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