Dezentrialisiert! Selbst-organisiert! Kommerzialisiert? / Kunst on- und offline

Gastautorin: Marlene Ronstedt

Berlin in den frühen 90er Jahren glich einer temporären autonomen Zone, mit seinen besetzten Häusern war es ein Spielplatz für Anarchisten. Dieser Zustand weist einige Parallelen zum Open Internet auf, welches zur gleichen Zeit aufkam. Die Möglichkeiten die damals der Cyber-Space den frühen Geeks und Nerds bot, schienen unendlich zu sein. Weder die Überwachungsmechanismen der NSA noch Kommerzialisierung hatten bis dato die digitale Sphäre erreicht.

Dies war das ideale Biotop in welchem zumindest in Berlin die frühe Kunst und Techno Szene gedeihen konnte. Gleichzeitig bedeutete das aber auch, dass die Stadt auch interessanter für Investoren und Makler wurde, was letztendlich zur Gentrifizierung eben dieser Plätze führte. Online traten allerdings neben Hackern und Entwicklern zuerst nur eine handvoll von Internet Künstler auf. Erst zu Beginn der frühen 00er Jahre wurden mehr Internet Kunstwerke sichtbar, dies geschah gleichzeitig mit dem Aufkommen des Web 2.0, eine Benutzer freundlichere, aber auch kommerzialisierte und zentralisierte Version des Internets. Tumblr, Flickr, WordPress und Instagram machen es einfach Internet Kunst auszustellen und bieten zudem eine Infrastruktur mit der man leicht Follower erreichen kann.

In beiden Fällen haben frühere autonome Zonen eine Veränderung erfahren, welche von Kommerzialisierung, Regulierung und im Fall des Internets von Überwachung und Zensur geprägt ist. Ein Beispiel dafür ist Instagram’s Politik die es nicht erlaubt Perioden Blut oder weibliche Brustwarzen darzustellen, im Gegenzug monetarisiert die Plattform allerdings die persönlichen Informationen ihrer Nutzer, ohne das diese vor eine Wahl gestellt werden würden. Die Verdränung der Projekt Räume in die Peripherie zeigt am Beispiel von Berlin wie sich frühere Strukturen verändert haben.

_Disobedient_still_5_smDorine van Meel, Disobedient Children, HD Video 17’00“, 2016

Das Internet hat jedoch einen Weg gefunden mit Hilfe der Blockchain zu seinen früheren Idealen, der Dezentralisierung und Autonomie, zurückzukehren. Das bedeutet auch, dass der Internet Kunst neue Möglichkeiten offen stehen, in weniger restriktiven Kontexten ausgestellt zu werden. Als Reaktion auf die Finanz Krise in 2008 tauchte, zusammen mit der Blockchaintechnologie, die Crypto-Währung Bitcoin auf. Die Blockchain erlaubt es transparente, dezentralisierte Strukturen herzustellen. Start-ups haben diese Neuigkeit aufgegriffen und Applikationen gebaut welche es erlauben Strom, Kunst, Wahlstimmen oder Autos durch einen Token auf einer Blockchain zu repräsentieren. Dadurch versuchen sie die Macht von Zentral Banken, Institutionen, Energie Firmen und sogar Staaten zu umgehen. Vertrauen und Besitz ist durch einen transparenten, geteilten Register garantiert, welcher ersichtlich ist für jeden der auf der Blockchain ist. Transaktionen auf der Blockchain können nur gemacht werden, wenn die Mehrheit der Blockchainmitglierder dieser zustimmt.

Das Start-up Ascribe ordnet online Kunstwerke als Token einer open-source Blockchain zu. Dadurch werden diese für immer archiviert in einem Register auf der Blockchain bleiben. Im Gegensatz zu den frühen HTML Kunstwerken und den zahllosen Worpress und Tumblr Kollektionen, haben diese Kunstwerke kein Ablaufdatum, nach dem sie vergessen werden im Zuge all der sekündlich entstehenden online Kunst. Dies ist nicht nur interessant für Investoren und Kunstsammler, welche jetzt schon mit den Zähnen fletschen, sondern auch digitale Künstler selbst, die dadurch ihre Kunstwerke verkaufen können und ihnen einen neue Form der digitalen Authentizität verleihen können. Des Weiteren sind sie nicht von zentralen Strukturen und Institutionen abhängig.

Bildschirmfoto 2016-09-04 um 11.31.20Accumulate Content, online exhibition by Àngels Miralda (screenshot), 2015, images courtesy of Shane Butler, Ilona Dorota Sagar and Sisters From Another Mister

Einer der Pioniere im Bereich der Internet Kunst ist Harm van den Dorpel. Sein Projekt Left Gallery, welches er momentan entwickelt, ist ein langsam, im Gegenzug zur Schnelligkeit des Internets, wachsender Register mit Internet Kunst. Der künstliche Intelligenz Künstler hat seine online Galerie nicht nur aus Liebe zur Internet Kunst eröffnet, sondern auch weil traditionelle Galerien und Kunst Räume „oft keine Ahnung haben“ wie man online Kunst ausstellt, kuratiert, geschweige denn sie vermarktet. Indem van den Dorpel Kunstwerke auf die Blockchain setzt erforscht er ein neues unberührtes Gebiet welches Künstlern die Möglichkeit bietet wieder unabhängig zu werden. Dies zeigt auch das ironische Beispiel der selbst ernannten nicht-Kuratorin Àngels Miralda mir ihrer online Ausstellung Accumulate Content. Kunst online auszustellen ist keine Discounter Alternative zu physikalischen Projekt Räumen oder Galerien, es ist eher eine künstlerische Praxis an sich.

Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die Tokens auf der Blockchain einen realen Wert repräsentieren, welcher von der Rechenleistung der Blockchain „Miner“ gedeckt ist – anders als zum Beispiel der Dollar, der nicht länger goldgedeckt ist. Deswegen kommen auch zwangsläufig finanziellen Ausgaben auf einen zu, indem man entweder für Service wie Ascribe bezahlt oder selber ein Miner wird (was recht kostspielig ist).

Dieses Jahr hat das Project Space Festival das Center of Minimum Distance eröffnet, ein dezentralisiertes Zentrum für Projekt Räume. Vielleicht wird es nächstes Jahr ja einen dezentralisierten Pavillon auf der Blockchain geben?

Marlene Ronstedt has a special interest in artistic expression on and about the internet and the politics surrounding it. She has been researching net art responses to dataveillance and internet biopolitics. Currently she is still indecisive which crypto-currency she should start mining.

Leave a Reply